Die Schweiz ist bekannt für ihren wohltuend kritischen Umgang mit der Diagnose ADHS und der Medikation von Kindern mit Psychopharmaka. Bereits im Jahr 2010 äußerten sich dortige Ärzte und Psychologen besorgt, nachdem der Verbrauch von Methylphenidat, dem Wirkstoff in Psychopharmaka wie Ritalin, erneut um 10 % gestiegen war. Sogar Senioren würden bereits mit Methylphenidat behandelt (1).
Im Jahr 2011 nimmt die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK-CNE) der Schweiz Stellung zum Einsatz von Psychopharmaka für eine Leistungssteigerung des Gehirns, dem sogenannten Enhancement, und geht auch kritisch auf den Einsatz von Medikamenten mit dem Wirkstoff Methylphenidat bei Kindern ein.
Weil pharmakologische Wirkstoffe zwar Verhaltensänderungen verursachten, das Kind aber damit nicht lerne, wie es solche Verhaltensänderungen selbst erzielen könne, werde dem Kind eine wichtige Lernerfahrung für eigenverantwortliches Handeln vorenthalten. „In diesem Sinne wird durch Enhancement die Freiheit des Kindes empfindlich eingeschränkt und es in seiner Persönlichkeitsentwicklung gehemmt“, heißt es in der Stellungnahme der NEK-CNE (2).
Und nun kritisiert der schweizer UNO-Berater Pascal Rudin ADHS und ihre Medikation. Der hohe Ritalin-Konsum werde zum Thema für die Uno, sagt er. Die Uno dürfte der Schweiz deshalb empfehlen, strengere Regeln für den Ritalin-Konsum von Kindern aufzustellen. Pascal Rudin: „Das Problem ist, dass Ritalin verwendet wird, um eine Störung zu behandeln. Die Kernfrage lautet also: Was ist unser Verständnis von Störung? Klar ist, dass ein Kind im schulischen Umfeld relativ schnell einmal stören kann. Aber das heißt noch nicht, dass es eine Störung im medizinischen Sinn hat. Das Aufmerk- samkeitsdefizitsyndrom ADHS wird als Krankheit definiert, lässt sich aber medizinisch kaum messen. Es werden also Kinder stigmatisiert, nur weil Ritalin kurzfristig funktioniert und effizient ist. Die Uno dürfte in diesem Zusammenhang auch auf grundlegende ethische Prinzipien verweisen: Ärzte sollten uns therapieren, nicht unsere Leistung steigern.“ (3)
Rudin weist weiter darauf hin, dass „Ritalin“ nur dann berechtigt sei, wenn man eine echte biologisch-medizinische Grundlage für die Verschreibung habe. Dies treffe aber bei höchstens 5 % der Kinder zu, die heute entsprechende Medikamente einnehmen, so dass bei 95 % der Kinder –also fast immer- diese Psychopharmaka überflüssig seien
Die Konferenz ADHS begrüßt und unterstützt diese Position, bezweifelt aber Rudins Annahme von 5 % der medizierten Kinder, bei denen eine „echte“ biologisch-medizinische Grundlage vorliege. Eine solche Grundlage existiert bei ADHS aber nicht. Wenn Methylphenidat vorübergehend indiziert ist, dann nicht aus biologisch-medizinischen, sondern ausschließlich aus psychosozialen Gründen (etwa als Teil einer Intervention bei einer eskalierenden Krise).
Quellen:
(1) http://www.psychologische-adhs-therapie.ch/pictures/ritalin_boom.pdf
(3) http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/ritalin-ist-fast-immer-ueberfluessig-1.18273581